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NEW: Handelszeitung.ch Interview: Der Futurist Gerd Leonhard über die Angst vor der Digitalisierung, warum die Schweiz mehr Biss braucht und den faustischen Pakt mit Silicon Valley

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Von Tim Höfinghoff

am 02.03.2018

Wann haben Sie sich gesagt, ab heute bin ich Futurist und mache daraus ein Geschäft?
Gerd Leonhard: Ich war früher Musiker und Produzent. Mitte der 1990er Jahre hat mich ein Bekannter dazu ermutigt, in den USA ein Online-Musikgeschäft zu starten. Wir fanden schnell Investoren und machten ungefähr etwas Ähnliches wie das, was der Streaming-Dienst Spotify heute bietet, aber B2B. Wir waren allerdings mit dieser Idee mindestens zehn Jahre zu früh. Es gab weder das iPhone noch die Cloud. Nach dem Nasdaq-Crash im Jahr 2001 waren wir insolvent – wie viele im Silicon Valley: keine Investoren, die Börsenkurse im Keller, das Platzen der Internetblase – und dann noch 9/11.

Und dann?
Nach dieser Erfahrung habe ich gemerkt, dass ich eigentlich besser darin bin, zu sehen, was kommt, und weniger bewandert, eine gute Geschäftsidee auch selber umzusetzen. Ich schrieb dann mein erstes Buch mit Dave Kusek. «The Future of Music» wurde zum Bestseller, der sich in 15 Sprachen verkaufte. Die Geschäftsidee von Spotify-Gründer Daniel Ek – Music Like Water – ist unter anderem wohl von unserem Buch abgeleitet worden. Zuvor hatte der britische Musiker David Bowie prophezeit, dass Musik wie fliessendes Wasser sein werde – also stets verfügbar. Nach dem Buch war ich plötzlich ein Futurist…. 

Sie haben also Ihre persönliche Disruption längst hinter sich?
Ich habe mehrfach Disruptionen bewältigt. Als Musiker merkte ich irgendwann, dass ich nicht wirklich gut genug war, um es bis ganz nach oben zu schaffen.

Immerhin spielten Sie als Gitarrist in denselben Arenen wie Miles Davis.
Das stimmt, aber meine Band war der allererste Opening Act.

Läuft das Futuristengeschäft gut oder schlecht?
Vor sieben Jahren habe ich eine Agentur gegründet, die nun weltweit über fünfzig Redner und Berater zum Thema Zukunft vermittelt. Die Nachfrage in diesem Geschäft explodiert, denn viele Leute haben Zukunftsangst. Die Disruption, die wir bereits im Musik- und Medien-Business gesehen haben, erleben wir nun bei Banking, Telekom, Versicherungen, Energie.

Was qualifiziert Sie für die Zukunftsberatung?
Ich kann komplexe Dinge leicht verständlich und konkret angewandt erklären. Das hilft Menschen, klare Entscheidungen zu treffen. Ich bin kein Wissenschafter, der sich auf einen Bereich konzentriert, sondern jemand, der eher auf dem Meta-Level, also breiter unterwegs ist.

 

Wie lautet Ihr Ratschlag?
Wir müssen uns mehr Zeit nehmen und beobachten, was sich alles verändert, und dann die richtigen Schlüsse für unser Leben und unseren Beruf ziehen. Ebenso müssen wir zulassen, dass Annahmen, die wir getroffen haben, vielleicht nicht mehr relevant sind. Jede Firma wäre gut beraten, ihren Mitarbeitern diesen gedanklichen Freiraum zu geben: 5 Prozent der Arbeitszeit sollten dafür reserviert sein. Das Motto: Es geht darum, von der Zukunft retour zu denken, nicht von jetzt nach morgen zu denken, also zu verlängern.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Wer heute Kupplungsteile für Autos herstellt, kann sich nicht mehr darauf verlassen, morgen lediglich bessere Kupplungsteile anzubieten. In den nächsten Jahren brauchen die vielen Elektrofahrzeuge nämlich gar keine Kupplungen mehr.

Sind Menschen für dieses hybride Denken, wie Sie es nennen, überhaupt gemacht?
Künstler oder Erfinder tun sich leichter damit, also mit allem, was sich vor allen Dingen in der rechten Gehirnhälfte abspielt. Solche Denkansätze sind in manchen Kulturkreisen stärker ausgeprägt: Amerikaner gelten daher oft als kreative Spinner, Deutsche eher als Perfektionisten.

Wie ist die Schweiz auf die Herausforderungen eingestellt?
Es gibt kulturell den Hemmschuh, Risiko unter allen Umständen zu vermeiden. Auch Konflikten geht man in der Schweiz eher aus dem Weg. Doch in einer Situation des Wandels kommt man schnell in ein Feld eines anderen Akteurs, Konflikte sind vorprogrammiert. Man muss sich den Konflikten stellen.

Ist die Schweiz abgehängt?
Nein, das glaube ich nicht. Allerdings sind viele führende Schweizer Forscher längst in den USAoder in Asien. Dieser Trend verstärkt sich, weil dort viel mehr Kapital für Investitionen verfügbar ist und eine ganz andere Risikokultur herrscht.

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